Kommentar des Monats: Der Schlüssel zum Schloss

Kommentar von Sven Hüber im Bezirksjournal BP der Zeitschrift „Deutsche Polizei“, Ausgabe Februar 2012

„Verantwortungsbewusstsein ist der Schlüssel zur Bürgerlichkeit“, hieß es kürzlich in einem Kommentar einer Berliner Tageszeitung.

Nicht schlecht, denkt man. Das könnte ja geradezu ein Markenbegriff auch für bürgerliche Politik sein, welche Verantwortung für Tausende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Bundespolizei und deren physische und psychische Belastungssituation, aber auch deren Berufszufriedenheit trägt. Die der bürgerlichen Koalition vorstehende Bundesregierung erklärte auch gegenüber dem Parlament, dass im Ergebnis der „Strohmeier-Studie“ und der „Beerlage-Studie“ bei den Beschäftigten der Bundespolizei Motivationsprobleme und eine überdurchschnittliche psychische Belastung bestehen; – die Ergebnisse der Studien würden von der Bundesregierung ernst genommen.

Die Hauptursachen von Belastungsohnmacht und Frust sind seit der ersten Evaluation der Neuorganisation öffentlich bekannt: zu wenig Personal für die übertragenen Polizeiaufgaben (– die angeblich 1000 zusätzlichen „Reform-Polizisten“ konnten ja nie „auf der Straße“ ankommen, weil es sie nicht gab –), mehr Dienstposten als Mitarbeiter, zu viele Einsätze an Wochenenden, unbefriedigende Arbeitsorganisation, unzuverlässige und familienunfreundliche Dienstpläne aus Personalnot, teilweise immer noch schlechte berufliche Entwicklungschancen, dazu noch unbeschreibliche Stilblüten deutscher Sparpolitik sowie in einigen Fällen uralte Fahrzeuge, lahme PC und, und, und …

Die Folgen sind auch bekannt: erhebliche Berufsunzufriedenheit sowohl beim „Mann auf der Straße“ als auch bei Führungskräften bis ganz nach oben, steigender Krankenstand.

Die Bundesregierung behauptet gegenüber den Parlamentariern, man habe „Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsqualität und zur Verringerung vermeidbarer Arbeitsbelastungen initiiert“ und kündigt für das zweite Halbjahr 2012 eine „Aufgabenkritik“ an. Ach, ja. Na, das lässt ja hoffen … Oder doch nicht?

Das größte Problem deutscher Politik ist die Glaubwürdigkeit; für nur 37% der Bürger ist z. B. die Politik der CSU und 35% die der CDU glaubwürdig, bei der FDP sind es sogar nur 15%.

Der mit einem gefühlten Schulterzucken der Verantwortlichen inzwischen salonfähig gemachte Widerspruch zwischen Ankündigungen und tatsächlichem Handeln ist so groß geworden, dass es ärgerlich stimmt.

  • Im Koalitionsvertrag nahmen sich die bürgerlichen Regierenden vor, dass die Bundespolizei „mit vorhandenen Ressourcen mehr […] erreichen“ solle – um ihr dann mit schnöder Chuzpe die vorhandenen Ressourcen, vor allem über 600 Planstellen, eiskalt zu streichen und die entsprechenden jährlich über 1 Million Mannstunden den ohnehin überlasteten Einsatzkräften zusätzlich aufzubuckeln.
  • Warum verschweigen das Bundesinnenministerium und der Minister dem Parlament in ihren Haushaltsvorlagen, dass Stellenstreichungen angesichts der wissenschaftlich festgestellten Überlastung schlicht unverantwortlich sind?
  • Noch bevor die angekündigte „Aufgabenkritik“ überhaupt auf dem Tisch liegt, bewirbt sich das Bundesinnenministerium um eine neue, weitere Zusatzaufgabe für die Bundespolizei, die Frachtkontrolle, um wenigstens weniger Stellen gestrichen zu bekommen als vorgesehen, wohlwissend, dass dafür kein Personal vorhanden ist, sondern diese im Kern Nicht-Polizei-Aufgabe die Umsetzung weiterer Mitarbeiter an die Flughäfen nach sich zöge. Das ist ein Verschieben von Löchern statt „Verringerung vermeidbarer Arbeitsbelastungen“.
  • Der Vorgänger des jetzigen Bundesinnenministers verspricht „eine Verbesserung weiterer Rahmenbedingungen für die Beschäftigten der Bundespolizei in Vollzug und Verwaltung“; tatsächlich verschlechtert sein Nachfolger lediglich die Aufstiegskonditionen, statt wirksam die grottenschlechte Beförderungssituation bei den Polizeiobermeistern und den Regierungsobersekretären anzugehen.
  • Im Weihnachtsbrief des Ministers wird versichert, dass ihm die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein Herzensanliegen sei, was man, wer Hans-Peter Friedrich kennt, ihm auch unbesehen glaubt. Seine Administration im Bundespolizeipräsidium hingegen führte einen – von ihr letztlich verlorenen – Kleinkrieg gegen die Personalräte, die um familienfreundliche Arbeitszeitmodelle kämpften.

Die unerfreulichen Beispiele der erkannten, aber nicht wirklich angepackten Probleme ließen sich fortsetzen. „Fangt bitte endlich an!“, möchte man laut rufen. Sagt dem Haushaltsausschuss und dem Bundestag wenigstens in euren Reden, dass seine Stellenstreichungen einfach nicht mehr hinnehmbar sind! Benennt die Aufgaben, die die Bundespolizei nicht mehr ohne neues Personal erledigen wird, statt euch hackenklappend um Zusatzaufgaben zu bewerben, die zu noch mehr Belastung führen werden! Schreibt nicht Presseerklärungen über die Absicht der Verbesserung von Rahmenbedingungen, sondern überlegt, wo die 10 Millionen für die Beförderung der über 40jährigen Obermeister tatsächlich hergenommen und die Bundesobergrenzenverordnung geändert werden können.

Nach einer Forsa-Umfrage für den STERN vom November 2011 finden nur 34% der Bürger, dass Bundesinnenminister Friedrich seinen Job gut macht. Nach der „Strohmeier-Studie“ fühlen sich mehr als drei Viertel der Beschäftigten der Bundespolizei von der Politik und insbesondere der Bundesregierung nicht unterstützt. „Nun, jeder hat sein Los, und leicht ist keines“, schreibt Hermann Hesse.
Diese Zahlen lassen uns aber nicht frohlocken; ganz im Gegenteil. Mir wären Spitzenbefragungswerte für Minister und Regierung zehnmal lieber, die darauf beruhten, dass die Bundespolizisten sagen: „Ja, der tut was für uns! Ja, die unterstützen uns wirklich, da kommt was!“.

Das Zukunftsinstitut hat in seiner aktuellen Studie „Future Company“ festgestellt, dass in der Arbeitswelt von morgen der Mitarbeiter im Mittelpunkt stehen wird. Das Unternehmen der Zukunft habe die Ressource Mitarbeiter erkannt und hole sich die Menschen, vor allem ihre Begeisterung, zurück. Vielleicht braucht man an den Schaltstellen nun auch noch diese dritte Studie, um den „Schlüssel zur Bürgerlichkeit“ endlich ins Schloss zu stecken und die Überlastungs- und Perspektivprobleme der Bundespolizei nicht nur mit dem Mund, sondern mit der Tat anzugehen.

2012 sollte das Jahr der gemeinsamen Belastungssenkung werden. Wir können und werden da jedenfalls nicht locker lassen – bis Ergebnisse erkennbar sind und dann hoffentlich auch wieder die Umfragewerte steigen.

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Themenbereich: Aus dem Bezirksvorstand |
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